LOVER´s EPSD007//THE SAFE SPACE

Seit ungefähr einem Jahr hat Running einen großen Einfluss auf mein Leben und ich verbringe immer mehr Zeit auf den Straßen der Stadt, um meine Grenzen neu zu definieren. Mir geht es hierbei schon lange nicht mehr nur um Distanzen oder Pace. Der meditative Effekt und das Bewusstsein für Prozesse, welches sich für mich durch diesen Sport entwickelt hat, schaffen einen unglaublichen Mehrwert für mein Leben auf vielen Ebenen.

 

Aus diesem Grund will ich die nächste EPSD meines LOVER-Projekts diesem Sport widmen, um herauszufinden, wie andere Menschen running für sich definieren.

 

Ich habe mich für die neue EPSD mit Pascal Adler getroffen, um mit ihm über seine Erfahrungen zu reden. In einem langen und intensiven Vorgespräch kristallisierte sich schnell heraus, dass Running für Pascal definitiv aus mehr besteht als Zeiten und Statistiken auf Strava.

 

In diesem Interview geht es um Fokus, Bewusstsein und Running als Save-Space.

Hey Pascal, erstmal vielen Dank für deine Zeit und dass du so motiviert an diesem Projekt teilnimmst. Lass uns doch erstmal easy mit einer kleinen Vorstellung anfangen. Wer bist du, wo kommst du her und was machst du?

Mein Name ist Pascal Adler aka run.punk, ich bin im eiskalten Januar 1979 in Berlin geboren, bisher immer in Berlin geblieben und arbeite aktuell als Senior Redakteur bei The Voice of Germany. Eine Sache noch zu addieren: Once a Drummer, now a Runner.

Du wohnst ja in Berlin und, wie wir schon besprochen haben, ist Berlin ja auch ab und zu eine echt herausfordernde Stadt. Besonders wenn es um die Schnelllebigkeit und verschiedene Lebensrealitäten geht. Wie erschaffst du dir mit dem Laufen eine eigene parallele Realität, um dem Treiben der Stadt zu entfliehen?

Ich habe 2013 angefangen, um meinen Kopf freizubekommen und nicht konstant an die Arbeit zu denken. Das ist mir schon bei meinem ersten 6-km-Lauf vom Büro nach Hause gelungen. Der dauerte ca. 1,5 Std., ich habe gelitten, ich habe meinen Körper schnell gespürt und war konstant im inneren Dialog mit mir selbst, warum ich „son Scheiß“ überhaupt mache! Aber ich habe nicht an die Arbeit gedacht. Als ich zuhause ankam, habe ich geduscht und bin (laut meiner romantischen Fantasie) sofort eingeschlafen, ohne noch über die Arbeit nachzudenken. Das hat mich dazu gebracht, mich während des Laufens abzulenken, mir Hörbücher anzuhören und abzutauchen, aber ohne das Gespür für meinen Körper zu verlieren. Doch der Stadt kann ich so sehr gut entfliehen.

Viele Menschen, viele Bezirke und extreme Einflüsse. Wie bleibst du an einem Ort wie Berlin, an dem die Ablenkung quasi an jeder Ecke lauert, fokussiert auf dich und dein Leben?

Da ich in Berlin aufgewachsen bin, sind für mich diese extremen Einflüsse nichts Neues. Ich versuche immer schnell zu checken, ob dieser Einfluss gut und inspirierend für mich ist oder nicht. Ich bin natürlich nicht an dem Punkt, an dem mich negative Vorkommnisse nicht berühren oder belasten, doch kann ich das teilweise irgendwann gut ziehen lassen – oder verdrängen, haha. Und ich bin quasi ein „Meister“ der Ablenkung und das lässt mich dann teilweise auch gut fokussieren.

Wo wir gerade schon in Berlin sind. Gibt es hier eine Running-Community? Wie nimmst du diese wahr?

Ja, absolut gibt es in Berlin eine Running-Community. Das Wort „Community“ würde ich aber aus meiner Sicht immer nur temporär benutzen. Zeitweise sind die Berliner Running-Crews eine Community, halten zusammen und unterstützen sich gegenseitig, aber von Zeit zu Zeit macht auch jede Crew ihr eigenes Ding und der Community-Spirit ist etwas weniger zu spüren. Das ist für mich aber absolut fein, denn ich fühle mich auf Events von anderen Crews immer willkommen und mit Respekt und Höflichkeit behandelt.

Was ist Running für dich?

Ich bin durch sämtliche Phasen gegangen, was Running für mich ist bzw. bedeutet. Von Ablenkung über Ausgleich bis hin zur Flucht. Aktuell ist es ein Safe-Space, aber darauf kommen wir später noch im Detail zu sprechen. Stay tuned ;0)

Kopfhörer in die Ohren und die ersten Kilometer hinter sich lassen. Wie würdest du den Zustand beschreiben, den du genau nach diesem Ritual erreichst?

Ich beschreibe diesen Zustand kurz und knapp als „Me-Time with Health Benefits“.

Was macht Running unterbewusst und bewusst mit dir oder dir mit Running?

Diese Frage müssten eigentlich Freunde und Familie beantworten. Für meinen Teil würde ich sagen, es macht mich erträglicher, ausgeglichener, ich hoffe, gesünder, bewusster und achtsamer. Klingt alles fancy, zeitgemäß usw., aber ich würde wirklich sagen, dass das Running mit mir macht.

Resilienz! Welche Kompetenzen gibt das Laufen, welche du auf deinen Alltag adaptieren kannst?

Auch wenn das jetzt anderen Läufer*innen vor den Kopf stößt oder sie es nicht nachvollziehen können: Mir fällt nichts ein, was ich aus dem Laufen in meinen Alltag adaptiert habe. Ich war schon immer ziemlich diszipliniert (bis auf in der Schule), ich kann schon seit Kindestagen Situationen lange aushalten und ich kann realistische Ziele gut verfolgen.

Wir haben ja schon darüber geredet, dass du Teil einer Running-Crew bist. Hat es trotzdem einen hohen Stellenwert für dich, allein zu laufen? Oder bist du lieber in der Gruppe unterwegs? In welchen Momenten entscheidest du dich bewusst, allein zu sein?

Trotz meiner Zugehörigkeit zum RUN-PACK laufe ich sehr gerne alleine. Wie bereits weiter vorne geschrieben, ist das Laufen „Me-Time“ und sehr wichtig für mich. Ich habe durch das RUN-PACK viel gelernt und bin auch konstant gewachsen, wofür ich sehr dankbar bin, doch bevorzuge ich es weiterhin meistens, alleine laufen zu gehen. Es sei denn, wir „trainieren“ für gemeinsame Läufe oder jemand möchte Support, den ich geben kann.

Ich höre es wirklich sehr oft: Laufen ist eine Sucht! Würdest du das bestätigen? Wie gehst du mit Phasen um, in denen du die Laufschuhe stehen lassen musst? Wie geht es dir in diesen Momenten und was treibt dich an?

Ich empfinde das Wort „Sucht“ als ein sehr hartes Wort und möchte das in Bezug auf mein Laufen nicht benutzen. Ich bezeichne es lieber als Drang oder Verlangen. Wie bereits geschrieben, kann ich lange aushalten oder auch verzichten. Das macht es mir möglich, auch in lauflosen Zeiten nicht völlig durchzudrehen. Es ist schade, fällt mir manchmal auch sehr schwer, aber ich kann das akzeptieren. Doch diese lauflosen Zeiten sind zum Glück sehr rar.

Manchmal fühlt es sich an, als würde man über den Asphalt gleiten, und an anderen Tagen will der Körper nicht so, wie man will. Wie gehst du mit solchen Höhen und Tiefen um?

Da ich absolut nicht kompetitiv bin, mir Pace und Distanzen egal sind und ich das ausschließlich für meine Gesundheit (mental und körperlich) mache, höre ich in diesen Situationen auf meinen Körper und höre dann auch einfach auf. Ich fühle mich absolut nicht doof, einen Lauf abzubrechen und dann ggf. einfach zurück zu fahren.

Was bedeutet Schmerz für dich und wie gehst du mit ihm um? Schmerz dient ja als Schutzfunktion in unserem Körper. Wie schaffst du es, diese zu umgehen?

Kommen wirkliche Schmerzen und nicht irgendwelche eingebildeten Pseudo-Ausrede-Schmerzen, dann höre ich auf. Dann bin ich zeitlang leider enttäuscht von meinem Körper und bin traurig, aber dann vergebe ich ihn/mir und dann ist es auch irgendwann okay… Das Akzeptieren dauert mal kürzer und mal länger.

Besonders bei langen Distanzen steht der Körper unter extremer Belastung und Stress. Wie kompensierst du diesen Stress und wie gelingt es dir, deine Gedanken von dem Stress zu lösen und umzuleiten?

Das soll jetzt absolut nicht überheblich klingen, aber ich verspüre sehr selten Stress beim Laufen. Das letzte Mal war beim Mauerlauf 2024, wo ich ab KM 28 angefangen habe zu krampfen, aber den Transponder erst bei KM 37 an den nächsten Läufer übergeben konnte. In dieser Situation konnte ich nicht einfach aufhören, musste den Lauf beenden, und das hat mich hart gestresst. Der Teamspirit bei diesem Staffellauf hat mich dann weitermachen lassen und den Stress irgendwie etwas kompensiert.

Strava, Statistiken und Instagram. Was denkst du über Zahlen und Leistungsstatistiken beim Laufen und welche Rolle spielt Instagram in Bezug auf den Sport für dich?

Ich tracke meine Läufe zwar und poste auch nach jedem Lauf meine Distanzen und Pace, doch sehe ich das eher als Lauftagebuch. Mal ist der Zehner schneller, mal langsamer, mal fühlt sich die Distanz besser und mal schlechter an. I couldn't care less über Geschwindigkeit oder Distanzen. PB „personal best“ hat für mich auch eine andere Bedeutung als für die meisten anderen Läufer*innen. Für mich ist PB ein Lauf mit dem besten Körpergefühl, mit den besten Gerüchen oder Aussichten in der Natur, mit dem besten Hörbuch, mit dem besten Gefühl in meiner Lauf-Gear oder oder oder.

Was hat den größten Einfluss für dich aufs Laufen? Ist Sport für Dich eine Art Kompensation?

Meine mentale Verfassung und mein Bewegungsdrang haben den größten Einfluss auf mein Laufen. Sicher ist Laufen für mich eine Art Kompensation. Diese ist auch nach der Auflösung meiner Band FINAL PRAYER im Oktober 2015 stärker geworden. Die Energie musste irgendwo hin und eine neue, intensivere Zugehörigkeit wollte ich wieder haben.

Ich habe diese EPSD ja „Save Space“ genannt. Ich kann mich noch haargenau an unser Gespräch vor deiner Wohnungstür über besonders dieses Thema erinnern. Warum ist Running für dich ein Save-Space geworden?

Seit Januar 2022 hatte ich immer wieder „komische Gefühle“ in meinem Körper und habe diese über fast 1,5 Jahre für „Panikattacken“ gehalten. Ich habe dann die Situationen notiert, in denen diese „komischen Gefühle“ aufgetreten sind. Dabei ist mir aufgefallen, dass sie ausschließlich in normalen und Ruhesituationen auftraten, und nie während Stress, Anstrengung oder während des Laufens Dadurch wurde das Laufen für mich ein „Save Space“. Jetzt weiß ich, dass es keine „komischen Gefühle“, sondern „Auren“ und auch keine Panikattacken waren – ich habe seit Mai 2023 diagnostiziert eine fokale Epilepsie. Und wenn ich auch seit dem 17. Mai 2023 keine „Aura“ und keinen Anfall mehr hatte, ist Running ein „Save Space“ für mich und dafür bin ich sehr dankbar!

Was hast du daraus für dein Leben gelernt?

So „Kalenderspruchartig“ es auch klingen mag: Es kann immer etwas Unerwartetes passieren, versuch jede Sekunde, so gut es geht, achtsam zu genießen und dich auch über „kleine“ Dinge zu freuen. Und wenn du vor eine neue Herausforderung gestellt wirst, beobachte diese und justiere ggf. deinen Kurs neu.

Welche Frage habe ich dir nicht gestellt, welche du aber gern noch zum Schluss beantworten würdest?

Ich möchte niemandem eine Antwort aufzwängen. Fragt mich und ich beantworte euch alles; 0)

 Any last words?

Danke Max, dass du in mir einen interessanten Menschen siehst, den du fotografiert hast und dessen Antworten du hören und lesen wolltest! 

Max Dietzmann